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Ruhe ist die Selbstbeherrschung des Hundes nichts zu machen

Gastbeitrag von Andrea über Hundetrainig und ihre Hündin

Wer bin ich überhaupt?

Als Vivian mir schrieb, las ich nur den ersten Teil der Nachricht und dachte; Ja genau, ich, die keine Kamera besitzt, soll über Fotografie schreiben. Aber zu meinem Glück ist Vivian auch ein Hundefan und ich darf mich auf das Thema Hunde beschränken. Angefangen bei den verschiedenen Hunden, mit denen ich spazieren ging über die Sheltiehündin der Grossmutter, die später meine wurde bis zu den Hunden, die ich in Betreuung und teilweise im Training hatte, alle sind Teil meiner Erfahrung mit Hunden. Heute bin ich 26 Jahre alt und besitze eine einjährige Berner Sennenhündin namens Amira.


Erziehung, Training oder Alltagsgewöhnung?

«Oh, der sieht aber noch jung aus. Was kann der denn schon? Gehen Sie in die Hundeschule?»
Fragen, die ich fast täglich auf dem Spaziergang höre. Und meistens endet es darin, dass sich die Person vor den Hund stellt: «Sitz … Setz dich! … aber erzogen ist sie noch nicht so gut» Interessant, dass die meisten Leute die Erziehung des Hundes daran messen, ob er Sitz macht oder nicht. Aber ist es wirklich der Grundgehorsam, der den Hund zu einem ‘guten’ Hund macht? Ich habe viel zu viele Hunde kennen gelernt, die großartige Trickhunde waren und das Sitz/Platz/Steh im Schlaf konnten. Aber das machte sie noch lange nicht alltagstauglich.

Amira kann weder Sitz noch Platz auf Kommando. Sie gibt das Pfötchen nur, wenn sie genervt ist und das Fuss nach Hundesportvorbild haben wir noch nicht geübt. Dafür bleibt sie mir am Bahnhof liegen, wenn ein Kind mit ‘seinem’ Hund anfängt kreischend Tauben zu jagen. Es ist jedem selbst überlassen, wie er seinen Hund erziehen will. Ich verlange von Amira einen sicheren Rückruf ins Front (mit Sitz) und ein entspanntes Leinenlaufen. Das Hinsetzen oder Abliegen sind bisher noch nicht mit einem Kommando belegt.

Nervös werden – das kannst du allein

Als Berner Sennenhund ist Amira von der Rasse her schon relativ entspannt, obwohl sie bei Unsicherheit auch ganz schön aufdrehen kann. Aber wird Amira nervös, erwarte ich eine durchhängende Leine – das ist alles. Es passiert Nichts solange sie sich nicht beruhigt. Das einzige was ich korrigiere ist, wenn sich die Leine streckt. Und die Korrektur ist ein ruhiges «mmh» oder wenn sie in die Leine springen will ein etwas stärkeres «ää», um ihre Energie abzufangen. Ich selbst bewege nur was unbedingt nötig ist. Dadurch bin ich selbst ruhig und der Hund kann sich mir anpassen.

Wenn der Hund nervös ist, hat er meistens eine kreative Phase und zeigt was er kann und will. Viele Hunde werden bei Unruhe oder Nervosität ins Sitz beordert. Warum? Damit sich der Hund stillhält? Wenn der Hund Mühe hat still zu stehen, wie soll er dann die Selbstbeherrschung haben Sitzen zu bleiben? Und Sitz als Korrektur zu benützen – Naja. Wenn der Hund wieder aufsteht, dann nervt es den Halter und er wird deutlicher, dass er wirklich das Sitz meint. So entsteht ein Kampf, den niemand gewinnt. Und Ruhe als Resultat eines Kampfes habe ich noch selten erlebt.

 

Realistische Ziele, aber vor allem faire Bedingungen

Ein Hund braucht Zeit, das Gelernte aufzunehmen und zu verarbeiten, je nach Alter, Vorgeschichte und Rasse kann es ganz schön lange dauern bis er sich wirklich beruhigt. Nehmen wir den Fahrradfahrer als Beispiel. Der Hund springt Fahrrädern nach und bellt aus Frust. Ein logisches Ziel ist, dass wir eines Tages ruhig weiterlaufen können, wenn ein Fahrrad kommt und der Hund weder bellt, noch an der Leine zieht. Schwierig ist jetzt, wenn ein Zeitlimit gesetzt wird. Dies kreiert unnötigen Druck. Am besten das Ziel ohne Enddatum setzen und den Trainingsverlauf beobachten. Noch wichtiger als das Ziel sind die Bedingungen unter denen geübt wird. Jetzt an den Fahrradweg zu stehen und den Hund jedes Mal zu korrigieren, wenn er sich bewegt, ist eine Variante. Ich bin eher für einen positiveren Weg. Wenn man die Distanz findet, bei der der Hund noch ruhig bleibt oder die Ruhe wiederfindet, kann man sich langsam in die Nähe der Fahrräder arbeiten. Der Hund wird also für die Ruhe gelobt und wenn er die Ruhe nicht findet, wird die Distanz vergrössert bis er die Ruhe wiederfindet. Das klingt ganz schön langweilig, aber mit einem langsamen Aufbau kommt man fast bei jedem Hund zum Erfolg.

 

Sitz als Management, aber Ruhe ist das Ziel

Das Sitz kann dem Hund eine Aufgabe geben und ein gutes Management sein. Es löst das Problem jedoch nur für den Moment. Dasselbe gilt für den Ball ins Maul, Leckerli zur Ablenkung oder auf Holz rum kauen lassen. Der Hund hat hier eine Ablenkung und ist ruhig, aber er setzt sich nicht mit dem Reiz auseinander. Er soll sich voll auf den Reiz konzentrieren und lernen, dass er den Reiz sein zu lassen hat. Nur so lernt der Hund etwas fürs nächste Mal.

Man kann sich die Trainingssituationen nicht immer aussuchen. Manchmal hat man einfach keine Zeit, der Weg ist zu schmal oder der Reiz ist nicht kontrollierbar. Nehmen wir unseren Hund von oben, der Mühe mit Fahrradfahrern hat. Es kann ein Fahrrad von hinten kommen und man hat keine Zeit, um die Distanz zu vergrössern. Da sind Managementstrategien hilfreich, um dem Hund im Moment zu helfen.

Erziehung, Training oder Alltagsgewöhnung?

Der Grundgehorsam ist eine gute Basis für jeden Hund, aber sie macht keinen erzogenen Hund aus. Er wird optimalerweise parallel zur Alltagstauglichkeit gelernt. Bei uns war der Fokus am Anfang ganz klar die Ruhe, weil Amira trotz ihrem Bernerblut relativ schnell überdreht. Da wir die Ruhe als Grundlage haben, können wir nun den Grundgehorsam und alles Weitere in Angriff nehmen. Ich bin gespannt, was mir noch für Schnapsideen mit Amira in den Sinn kommen.

Danke für die Möglichkeit, meine Ansichten zum Thema Ruhe zu teilen. Und bei Fragen dürft ihr mir gerne auf Instagram (@andrea_n_dogs) schreiben.

 

Instagram Account Andrea

Ruhe will gelernt und trainiert sein – bis sie richtig langweilig & selbstverständlich ist.